Anzeige

Alleinerziehende fordern: Nehmt endlich die Väter in die Pflicht!

Vater mit Tochter
© Evgeny Atamanenko / Shutterstock
Neue Männer - altes Muster: Immer noch tauchen mehr als die Hälfte ab, wenn es um ihre Kinder geht.

Kaum, dass sie schreiben gelernt hatte, begann die heute neunjährige Anna, kleine Briefe an den Unbekannten zu senden. Zu seinem 40. Geburtstag schickte sie ihm eine Postkarte: "Papa, ich liebe dich, wann kommst du mich endlich besuchen?" Da schrieb der Vater tatsächlich zurück: ". . . wir sehen uns in den Osterferien." Anna hat es allen erzählt, den Freundinnen, in der Schule, überall. "Sie war völlig durch den Wind", sagt ihre Mutter, die fürchtete, dass es nur bei dem Versprechen bleiben würde. Doch Annas Wunsch ging in Erfüllung, zwei Stunden haben sie sich getroffen. Der Vater, der sich schon in der Schwangerschaft von der Mutter getrennt hatte, stellte fest, die Tochter sei ihm sehr ähnlich. Er werde sich wieder melden. Das war vor zehn Monaten.

Geschichten von verschwundenen, abwesenden Vätern - wer mit alleinerziehenden Müttern spricht, kann unendlich viele hören: über Väter, die ihr Kind nie kennen lernen wollen, oder andere, die nach jahrelangem Zusammenleben abtauchen. Mehr als 50 Prozent der Väter sehen nach der Trennungsphase ihre Kinder gar nicht oder nur noch selten, fasst die österreichische Familienforscherin Mariam Tazi-Preve in ihrem neuen Buch "Väter im Abseits" die wenigen Forschungen im deutschsprachigen Raum zusammen. Dabei sind Mütter und Väter in Deutschland seit fast zehn Jahren gleichberechtigt. Früher wurde im Normalfall die Sorge ums Kind selbstverständlich der Mutter zugesprochen. Im Juli 1998, mit der Reform des Kindschaftsrechts, änderte sich dies gravierend: Seitdem gilt bei Scheidungen automatisch das gemeinsame Sorgerecht - außer wenn schwerwiegende Gründe für eine Klage auf ein alleiniges Sorgerecht ausreichen. Trotzdem kümmert sich nicht einmal die Hälfte aller Väter regelmäßig um ihre Kinder.

Auch finanziell verweigern viele getrennte Väter die Verantwortung: Gut zwei Drittel geben ihren Kindern und der Ex-Frau nicht das, was ihnen zusteht. Und für 492 000 Kinder muss der Staat den Unterhalt sogar komplett übernehmen. Das kostet jährlich 853 Millionen Euro. Doch die Zahl der Väter, die keinen Cent für ihren Nachwuchs berappen, liegt weitaus höher: Das Jugendamt springt nämlich maximal sechs Jahre ein. Danach sind die Mütter auf sich allein gestellt. Eine Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums stellt fest: Viele Erzeuger drücken sich einfach davor, einen angemessenen Unterhalt zu bezahlen. Nur 10 bis 20 Prozent haben wirklich kein Geld.

Das Problem abwesender Väter führt immer wieder zu seltsamen Aktionen der Hilflosigkeit. Etwa kürzlich die Klage einer Mutter, die per Gericht ihren ehemaligen Liebhaber zum Zwangsumgang mit dem Sohn verpflichten will. Oder vor drei Jahren die Forderung von Karen Koop (CDU), Zahlungsverweigerern das Auto per Parkkralle festzusetzen. Schon früher hatte die Hamburger Sozialbehörde vergeblich versucht, mit Hilfe einer Anwaltskanzlei Geld von säumigen Vätern einzutreiben.

Wie kommt es, dass so viele Väter ihre Pflichten vernachlässigen? Wo sind sie, die neuen verantwortungsvollen, aktiven Väter? Es gibt sie leider gar nicht, so das Ergebnis aktueller Forschungen. "Es besteht eine große Diskrepanz zwischen Verhalten und Einstellung", sagt Professor Andreas Lange vom Deutschen Jugendinstitut. Einerseits sei aktive Vaterschaft zwar gesellschaftlich hoch angesehen, andererseits gebe es aber eine "unglaubliche Verhaltensstarre".

Untersuchungen belegen, so der Familienforscher, dass junge Väter nach dem ersten Kind sogar mehr arbeiten als vorher. Wie früher ihre Väter sehen sie sich immer noch als Ernährer und meinen: Jetzt ist erst recht Geldverdienen angesagt. Auch an Hausarbeit und Kindererziehung beteiligen sie sich noch lange nicht so, dass wissenschaftlich von einem Aufbruch gesprochen werden kann, meint der Experte. Kommt es zur Trennung, haben viele Väter deshalb kaum eine Beziehung zu ihren Kindern aufgebaut: "Ups, habe gar nicht mitgekriegt, dass das Kind schon so groß ist", wundern sie sich dann im Scheidungsprozess - und fühlen sich dem Nachwuchs nicht verpflichtet, weil er ihnen zu fremd ist. Außerdem kleben Männer weiterhin am Bild der traditionellen Familie: Ohne die Beziehung zur Mutter können viele auch mit dem Kind nichts mehr anfangen, so der Forscher.

Sicher: Es gibt auch Mütter, die Väter vertreiben und eine Beziehung zum Kind verhindern. Familienforscherin Tazi-Preve fand aber heraus, dass der "Keim zum Kontaktverlust" meist schon in der gemeinsamen Zeit gelegt wird. Weil der Vater für das Geld und die Mutter für die Erziehung zuständig war, werden im Rosenkrieg Sachgüter gegen Kinder ausgespielt. Die Vermischung der Eltern- und Paarebene sei der "stärkste Faktor" für einen Kontaktverlust. Wie viele Väter zwar nicht verschwinden, aber ihre oberflächliche Beziehung zu den Kindern als lustige "Disneyworld- Dads" überspielen, ist statistisch nicht erfasst. Aber es gibt sie reichlich, die Väter, die lieber Action machen, als sich Alltagssorgen ihrer Kinder anzuhören. Wenn diese Kinder aber dem Vergnügungspark-Alter entwachsen, bricht der Kontakt oft ganz ab. Allerdings: Die Mehrheit der Männer, die den Kontakt zu ihren Kindern verlieren, leiden, so die Familienforscherin. Sie fühlen sich ungerecht behandelt, vom Rechtssystem und von der Welt. Meist ist es mehr Hilflosigkeit als böse Absicht.

Das Festhalten der Väter an der alten Männerrolle sieht der Berliner Soziologieprofessor Hans Bertram als "Kernproblem der modernen Familie", nicht nur der getrennten Paare. Er sagt und ist sich darin mit seinem Kollegen Andreas Lange einig: Männer müssen Fürsorglichkeit lernen. Aber wo? Bis zum zehnten Lebensjahr werden Jungen fast ausschließlich von Frauen erzogen, in der Kinderkrippe, in der Grundschule, im Hort. Es gibt kaum Vorbilder. In den USA erzielte man große Fortschritte mit dem "After School Movement". Konzerne ermutigen ihre Manager, einen Tag in der Woche etwas mit Kindern aus benachteiligten Familien zu unternehmen. Das Engagement, die Fähigkeit zu "Care", wie die Amerikaner es nennen, wird anerkannt und nützt der Karriere.

Natürlich sollten auch familienfreundliche Arbeitszeiten den Vätern überhaupt Raum schaffen, sich ihren Kinder zu widmen. "Unsere Wirtschaft ist nicht eingestellt auf den aktiven Vater, sondern nur auf den immer anwesenden männlichen Arbeiter", kritisiert Lange. Männer stehen vor dem Dilemma, dass die Anforderungen im Beruf genauso wachsen wie der Wunsch nach einer präsenten Vaterschaft.

Gleichzeitig muss an einer anderen Schraube gedreht werden, meint Professor Bertram: Frauen müssen endlich mehr verdienen. "Die wirtschaftliche Gleichheit der Geschlechter ist die Grundvoraussetzung dafür, dass sich in jungen Partnerschaften etwas ändern kann", sagt der Familienexperte. Denn solange Männer meist mehr verdienen, sind Paare in ihrer Entscheidung für eine aktive Vaterschaft nicht wirklich frei. Die Eltern können den modernen Weg, auf dem beide gleichermaßen in Teilzeit und Familienpflichten arbeiten, gar nicht gehen, dafür ist das Budget zu eng. Beide Wissenschaftler loben zwar die vom Familienministerium initiierte Väterzeit. Ebenso das neue Unterhaltsrecht, das die Fürsorge fürs Kind endlich in den Mittelpunkt stellt. Die Richtung stimme, allerdings seien das nur kleine Schritte. Der Weg zu einer aktiven Vaterschaft ist noch lang. "Dafür muss viel konsequenter väterpolitisch gedacht werden", fordert Andreas Lange. Väterpolitik - was für ein schönes neues Wort.

Buchtipp: Mariam Tazi-Preve, "Väter im Abseits. Zum Kontaktabbruch der Vater-Kind-Beziehung nach Scheidung und Trennung", 35,90 Euro, VS-Verlag

BRIGITTE Heft 04/08. Text: Eva Meschede

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel